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Kleines Rasenstück – Bewegtes Stilleben. Eine Betrachtung

von Christina Biundo

Denn wahrhaftig steckt die Kunst in der Natur, wer sie heraus kann reißen, der hat sie.
Albrecht Dürer. 1504

Der Titel Kleines Rasenstück evoziert die Assoziation: Albrecht Dürers Großes Rasenstück. Wasser- und Deckfarbe auf Papier, 41 × 31.5 cm. Nürnberg, 1503. Stilleben. Die Abbildung eines Mikrokosmos: Kräuter und Gräser auf einer Erdscholle. Niedriger Horizont. Eine Wasserlache im Vordergrund. Mooskissen. Wurzelwerk aufstrebender Halme. Naturgetreu. Auf Augenhöhe mit Pflanzen und deren Wurzeln. Mikrokosmos. Partielle Wirklichkeit im Bild. Als Darstellung. Die beginnt und endet in der Betrachtung.

Die beiden Bildenden Künstler Klaus Maßem (Zeichner/Bilhauer) und Werner Müller (Bildhauer/Maler) erhalten 2009 von dem Ortsgemeinderat des Dorfes Zerf im Hochwald den Auftrag, den am Ortsrand liegenden, 570 qm großen Verkehrskreisel künstlerisch zu gestalten. Maßem und Müller entscheiden sich für eine Plastische Installation. 130 Einzelfiguren. 650 laufende Meter Zinkrohr in verschiedenen Maßen. Geschnitten, gedehnt und gelötet. Sorgsam durchgestaltet in einer eigenständigen, in sich geschlossenen Komposition. Ein Kleines Rasenstück in Zink, 15 x 15 m mit einer Höhe von 4.80 m auf einer gewölbten grauen Schotterfläche mit einem Durchmesser von 27 m.

In der Installation reagieren Maßem und Müller auf die sie umgebende ländliche Wirklichkeit. Hügeliges Land mit Wiesen und Weiden. Ihr künstlerisches Interesse gilt allerdings nicht der Gesamtkomposition Landschaft, sondern - wie Dürer auch – dem Landschaftsdetail Wiese. Mit seinen pflanzlichen Einzelelementen. Stängel. Blätter. Blüten. Rispen. Dolden. In sich geschlossene, für sich stehende botanische Einzelportraits werden künstlerisch organisiert. Zu einem harmonischen Gesamtkörper. 300fach vergrößert. Mit einem extrem niedrigem Horizont.

Bei allen inhaltlichen Ähnlichkeiten mit dem Dürerschen Rasenstück bilden Maßem und Müller Natur jedoch nicht ab. Sie machen sich nach der Studie der Natur eine ideale Vorstellung von ihr und setzen diese, gedanklich und emotional geklärt, künstlerisch um. Als Inneren Ausdruck. Expressiv. Als ideale Komposition. Spürt man den Bewegungen nach, die die Installation durchziehen, wird deutlich, dass sich in der Dreidimensionalität des Körpers Dynamik und Statik, Verdichtung und Auflösung harmonisch abwechseln und zu einem ausgewogenen Ganzen ergänzen. Durch viele kleine Führungsgesten geleitet eröffnet sich aus jeder Blickrichtung eine spannungsreiche Konstellation. Ein sonderbar gleichgerichteter Wille scheint die Elemente in mehr als nur nachbarschaftlicher Nähe zu vereinen. Da haben filigrane Blätter die gleiche Neigung, Rispen und Knospen mühen sich um ideale Einigkeit, Blattränder folgen eins ums andere gedachten Linien, aufsteigende und abfallende Höhen wiederholen sich und ziehen wellengleich durch das Halmgewirr… Ein leichter Wind aus allen Richtungen weht und bewegt die innere Ruhe und äußere Ordnung. Spannung und Geschlossenheit von allen Seiten. Ein bewegtes Stilleben.

Das Kleine Rasenstück entstand in der Konzeption und im fließenden, sich stets erneuernden, künstlerischen Prozess, als Reaktion auf die es umgebende, räumliche Situation. Die Installation ist mit ihrer klaren, künstlerischen Präsenz und ihrem enormen Volumen ein starkes, raumgreifendes und -ordnendes Element. Ein Landschaftselement. Unter Erkennung und Einbeziehung des Ganzen entsteht durch die Kunst folgerichtig ein neues Ganzes. Eine neue Landschaft. Eine ideale Situation, in der sich Kunst und anthropomorph geprägter Raum in Achtung gegenüberstehen und in klarer Ästhetik miteinander verschmelzen.

For truly, art is in nature, and whoever can tear it out, has it.
Albrecht Dürer. 1504

The title "Kleines Rasenstück" evokes the association: Albrecht Dürer's "Großes Rasenstück". Watercolour and cover paint on paper, 41 × 31.5 cm. Nuremberg, 1503. still life. The image of a microcosm: herbs and grasses on a clod of earth. Low horizon. A puddle of water in the foreground. Moss cushion. Roots of rising stalks. True to nature. At eye level with plants and their roots. Microcosm. Partial reality in the picture. As representation. Which begins and ends in contemplation.

In 2009, the two visual artists Klaus Maßem (draftsman/sculptor) and Werner Müller (sculptor/painter) were commissioned by the local council of the village of Zerf im Hochwald to artistically design the 570 square meter roundabout on the outskirts of the village. Maßem and Müller decided on a plastic installation. 130 individual figures. 650 running meters of zinc pipe in various sizes. Cut, stretched and soldered. Carefully designed in an independent, self-contained composition. A small piece of turf in zinc, 15 x 15 m with a height of 4.80 m on a vaulted grey gravel surface with a diameter of 27 m.

In the installation, Maßem and Müller react to the rural surrounding reality. Hilly land with meadows and pastures. Their artistic interest, however, is not in the overall composition of landscape, but - like Dürer - in the landscape detail of meadow. With its individual plant elements. Stems. Leaves. Blossoms. Panicles. Umbels. Self-contained, individual botanical portraits are artistically organized. Into a harmonious overall body. Magnified 300 times. With an extremely low horizon.

Despite all similarities in content with Dürer's lawn, however, Maßem and Müller do not depict nature. After studying nature, they form an ideal image of it and, intellectually and emotionally clarified, they translate it into art. As inner expression. Expressive. As an ideal composition. If one traces the movements that run through the installation, it becomes clear that in the three-dimensionality of the body dynamics and statics, compression and dissolution alternate harmoniously and complement each other to form a balanced whole. Guided by many small guiding gestures, an exciting constellation opens up from every viewing direction. A strangely rectified will seems to unite the elements in more than just neighbourly proximity. Filigree leaves have the same inclination, panicles and buds strive for ideal unity, leaf edges follow one imaginary line after the other, rising and falling heights repeat themselves and move through the tangle of stalks like waves... A light wind blows from all directions and moves the inner peace and outer order. Tension and unity from all sides. A moving still life.

"Kleines Rasenstück" was created in the conception and in the flowing, constantly renewing, artistic process, as a reaction to the surrounding spatial situation. With its clear, artistic presence and enormous volume, the installation is a strong, space-embracing and ordering element. A landscape element. By recognizing and incorporating the whole, art consequently creates a new whole. A new landscape. An ideal situation in which art and anthropomorphically shaped space face each other with respect and merge with each other in clear aesthetics.